Assistenz im eigenen Wohn- und Sozialraum (AWS)

Grundsätzlich ist in beiden ambulant betreuten Wohneinrichtungen festzustellen, dass durch die Mitarbeit der Psychiatrie-Erfahrenen die Zusammenarbeit um eine zusätzliche Perspektive erweitert wird. So wie die nicht psychiatrieerfahrenen Fachkräfte ihre Ausbildung und ihre Arbeitserfahrung einbringen, so ergänzen die psychiatrieerfahrenen Mitarbeiter die Begleitung der Bewohner mit ihrer Nutzersicht.

Durch die Erfahrungen mit dem psychiatrischen Hilfesystem haben sich bei ihnen feine Antennen entwickelt, was den Umgang mit den Bewohnern anbelangt.Da sie oft selbst schon verletzendes Verhalten durch Personal erlebt haben, sind ihre Wahrnehmungen dafür sensibilisiert, wenn z.B. subtiler Zwang angewandt wird, der Ton unfreundlicher ist oder innerhalb des Teams respektlos über die Bewohner und Bewohnerinnen gesprochen wird.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich durch die Mitarbeit von Psychiatrie-Erfahrenen das Rollenrepertoire des Teams erweitert. In Leonberg wird dies bewusst eingesetzt. So wie die nicht psychiatrie-erfahrene Fachperson eine gewisse Distanz wahrt, so gehen die anderen Mitarbeiter teilweise in die Du-Ebene. Das Verhältnis ist hier fast kameradschaftlich zu nennen. Sollte ein schwerer Konflikt mit einem Bewohner entstehen, dann kann sich die distanziertere Fachkraft um eine Lösung bemühen, wenn sich die größere Nähe zwischen psychiatrieerfahrenen Mitarbeitern und Bewohnern als hinderlich erweist.

Man bemerkt immer wieder, dass die psychiatrieerfahrenen Mitarbeiter Vorbildfunktion für die Bewohner ausüben können. Die Bewohner sehen an ihnen beispielhaft, wie die Erkrankung zu überwinden ist und wie es gelingen kann, das Leben wieder in den Griff zu bekommen. Teilweise wird bei den Bewohnern der ››Das-kann-ich-auch«-Impuls ausgelöst. Durch den offenen Austausch erfahren sie realitätsnah, wie Genesung möglich sein könnte.

Durch das Wissen, was ihnen wie geholfen hat, können sich die psychiatrieerfahrenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf andere Art in die Bedürfnisse und Problemlagen der Bewohner und Bewohnerinnen einfühlen und entwickeln eine Art des Verständnisses, das den anderen Mitarbeitern nicht möglich ist.

Wer z. B. eigene Erfahrungen mit den Nebenwirkungen von Psychopharmaka gemacht hat, kann die Abwehr gegenüber der Einnahme der Medikamente aus einem anderen Blickwinkel sehen als jemand, der sich dieses Wissen nur aus der Fachlektüre, durch Gespräche und Beobachtung erworben hat.

Eine wichtige Frage ist, ob die Mitarbeit psychiatrieerfahrener Menschen einen Mehraufwand für die Leitung und Begleitung durch dienicht psychiatrieerfahrenen Kollegen bedeutet. Vordergründig ist diese Frage mit Ja zu beantworten. Bei genauerer Betrachtung ist aber festzustellen, dass dieser Umstand eine größere Achtsamkeit im Umgang innerhalb des Teams zur Folge hat. Es ist hier mehr von Bedeutung, dass sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei ihrer Arbeit wohlfühlen und einen kollegialen, fast freundschaftlichen Umgang pflegen.